Prolog
Alexandra Pirici ist eine rumänische Performance-Künstlerin. Sie setzt sich mit globalen und gesellschaftlichen Problemen auseinander und lässt diese in ihre Kunstwerke mit einfließen.(vgl. 1) Ihre geniale Arbeit wird hier als fiktive Geschichte dargestellt, in welchem Pirici mithilfe von ,,Ihr/Sie“, eine Undecover-Polizistin, eine Gruppe von Vergewaltigern ,,Die Künstler“ überführt.
Ihre Augen sind wachsam, huschen umher, durchsuchen den gesamten Raum, während sie auf ihren Einsatz wartet. Sie wirkt nicht nervös oder aufgeregt, im Gegenteil. Sie verharrt ruhig in ihrer Position, so starr wie eine Statue. Leute laufen an ihr vorbei, einige schauen sie mal kurz an, laufen dann wieder weiter zum nächsten Raum und zum nächsten Kunstwerk. Die richtigen Leute sind es nicht.
Eine junge Nachrichtensprecherin berichtet über den heißesten, neuen Fall: ,,In der Kunstausstellung „New Beginnings“, die vom 4. November bis zum 7. November 2016 lief, gab es eine Vergewaltigung. „Die Künstler“ haben zugeschlagen. Diesmal war ihr Opfer die 22 Jahre alte Livi Skye Jackson. Die Polizei ermittelt nun in diesem Fall. Unser Reporter Dave ist live vor Ort…“ Weiter höre ich nicht zu. „Die Künstler“… gefällt mir.
Das Licht im Raum ist gedämpft, die Musik läuft leise im Hintergrund. ,,Sie sind im Gebäude“, hört sie über den kleinen Kopfhörer in ihrem rechten Ohr. Sie blickt in die Ecke und sieht Alexandra durch das kleine Fenster, welches kaum zu sehen ist, zu ihr nicken. Alexandra Pirici und sie haben monatelang diesen Moment geplant und geprobt. Nächte lang sind sie wachgeblieben, um sich auf diesen Abend vorzubereiten. Und bald schon wird sich alles auszahlen.
Ich bin nervös. Heute ist das erste Mal seit Jahren, dass wir wieder unterwegs sind. Niemand weiß davon, niemand erwartet uns. Die Welt hat uns längst vergessen. Zu unserem Vorteil. Wir betreten das große, weiße Gebäude. Niemand findet uns seltsam, suspekt. Eine normale Gruppe von fünf Männern. Normal gekleidet, normales Verhalten. Niemand von uns ahnt, was auf uns zukommt.
Sie ist voller Vorfreude. Das Messer an ihrem linken Bein ist bereits warm, so lange ist es schon zwischen Haut und Hose. Aber es stört sie nicht. Sie senkt ihren Kopf, immer noch in ihrer Position verharrt. Sie ist bereit. Und ist Alexandra unendlich dankbar. Durch ihren Job als Performance-Künstlerin konnte sie das Ganze möglich machen. Doch braucht es beide, damit alles klappt.
Wir bewegen uns langsam, ohne Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Ich habe das Gefühl, meine Nervosität breitet sich auch auf die anderen aus. Wir werfen uns gegenseitig Blicke zu, während wir durch die Ausstellung gehen und uns gelegentlich hier und da ein Kunstwerk ansehen oder sogar stehenbleiben. Wir kommen unserem Ziel immer näher. Dem Raum.
Ihr Kopf ist gesenkt, ihre Augen schauen jedoch nach links zum Eingang. Immer noch laufen Leute rein, doch diesmal bleiben sie stehen. Ihr Auftritt beginnt. Die Musik ändert sich, wird ein wenig lauter und schneller. Sie beginnt ihre Performance, bewegt sich zur Musik. Die Menschen sehen ihr gebannt zu. Die Musik endet. Sie bewegt sich nicht mehr. Sie verharrt wieder wie eine Statue. Die Leute applaudieren,nicken anerkennungsvoll zu und bewegen sich bald wieder aus dem Raum hinaus, in den nächsten Raum, zum nächsten Kunstwerk.
Unsere Nervosität steigt mit jedem Schritt. Ich habe das Gefühl, um uns herum sind Stromschläge unserer Anspannung zu sehen und unsere Herzschläge das einzig Hörbare sind. Doch wir versuchen weiterhin, uns nichts anmerken zu lassen. Menschen, die ans uns vorbeilaufen und Augenkontakt haben, nicken oder lächeln wir kurz zu, wie alle anderen auch. Und dann stehen wir vor dem Raum.
Sie schaut Alexandra an und diese nickt ihr zu. Es ist der wichtigste Moment, sie alle sind konzentriert. Sie befindet sich wieder in ihrer Anfangsposition, Kopf gesenkt, Atem ruhig. Sie hört die Schritte der nächsten Personen, die reinkommen. Sie stehen vor ihr, das Licht wird dunkler, die Musik lauter.
Wir stehen wie gebannt da. Niemand traut sich, auch nur einen Finger zu bewegen. Die Musik ist ruhig, eine angenehme Lautstärke. Sie beginnt sich zu bewegen. Sie scheint uns nicht einmal zu bemerken. Ihre Bewegungen werden plötzlich schneller. Die Musik wird etwas lauter, das Licht wird dunkler. Wir stoßen uns gegenseitig an und fangen an, sie zu umzingeln. Sie befand sich auf einer runden, kleinen Bühne, welche etwas höher gelegen ist. Ich stütze meine Hände ab und ziehe mich auf die Bühne. Bewege mich langsam auf sie zu. Die Musik wird immer lauter und ich sehe kaum noch etwas. Sie bemerkt uns immer noch nicht. Die Musik wird noch lauter, langsam unerträglich.
Ich spüre einen Stich in meinem Bauch. Verwirrt schaue ich runter, versuche, irgendetwas zu erkennen. Da werde ich zurückgeschleudert. Ich falle von der Bühne runter und finde mich flach auf dem Boden liegend wieder. Ich richte mich auf, die Schmerzen sind nicht nur in meinem Bauch, sondern auch in Kopf und Rücken. Ich denke nicht an die anderen. Ich muss hier raus. Panisch versuche ich mich zu orientieren, doch die laute Musik und die Dunkelheit machen es unmöglich. Plötzlich spüre ich eine Hand an meinem Rücken, als ob jemand ertastet, ob ich da wäre. Ich denke, es ist einer von ihnen und will mich umdrehen, doch ich spüre, wie meine Handgelenke gefesselt werden und ich auf den Boden gedrückt werde. Ich konnte nicht mehr hoch, meine Arme kann ich nicht mehr bewegen. Und so liege ich hier. Totale Dunkelheit.
Das Licht geht an. Sie öffnen die Augen und spüren, wie sie aneinandergefesslt sind. Sie bilden einen unförmigen Haufen von Menschen, deren Arme und Beine in verschieden Richtungen zeigen. Um sie herum stehen Frauen. Viele Frauen. Verschiedene Frauen. Sie starren uns mit ausdruckslosen Gesichtern an. Von Künstlern zu Kunstwerk…
-Ily
Quellen:
(1) https://various-artists.com/alexandra-pirici/
(2) https://www.audemarspiguet.com/com/en/news/art/Alexandra-Pirici-Encyclopedia-of-Relations.html
(4) https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-951476
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Vergewaltigung#Opfer
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