Kimko bloggt

Kimko: Das Kunstprofil "Intermediale Kommunikation" in Baden- Württemberg

Highway to Hell stottert…

Fragt mich bitte nicht, wie ich hierher gekommen bin.
Die Kurzfassung wäre vielleicht, dass mein alter Herr einen spontanen Ausflug an die
Oberfläche geplant hatte und einfach so, ohne jegliche Vorwarnung oder gar an einen
Abschiedsbrief zu denken, zu Staub verfallen ist. Das Tageslicht bekam ihm doch nicht so
gut nach all den Jahrtausenden hier unten, wie er gedacht hatte.
Da ich als einziger Abkömmling des Teufels übrig war, hat man mir nach seinem Ableben
kurzerhand den Dreizack in die Hand gedrückt und damit auch einfach so das Amt des
Herrschers der Unterwelt.


Naja und leider hab ich noch nicht herausgefunden, wie man diesen Job kündigen könnte.


Auf jeden Fall sitze ich mir hier jeden verdammten sonnenlosen Tag mein Hinterteil ab und
lasse meine Beine von der blutroten Wolke baumeln. Jedenfalls hatte sie einmal das
Vergnügen gehabt, rot wie Blut zu strahlen. Heute war sie nur noch in einem kränklichen
Blassrosa präsent und sah so aus als wäre ihr ständig übel.
Meine Finger streifen gedankenverloren über die neblige, fast schon wässrige Struktur
meines “Throns” und wirbeln ein paar Fetzten des kühlen Rots auf.

Ja, die Wolken sind fest genug, um von einer zur anderen zu springen und sich auch
eine als nächtlichen Schlafplatz zu genehmigen. Wenn man überhaupt noch eine geringe
Ahnung hatte, wann Tag und wann Nacht an der Oberfläche war.
Keine Sonne, kein Mond oder gar Sterne vertraten hier die Zeit. Der einzige Anhaltspunkt ist
die Müdigkeit, welche einen überkommt. Doch wenn man schon länger hier unten sein
jämmerliches Dasein fristet, kann man sich auch darauf nicht mehr verlassen.


Es ist zum Verrücktwerden.
Seit diese kleinen, teuflischen Dämonen mich hier auf diese Wolke gesetzt haben, sind die
einzigen Sternbilder, die ich gesehen habe, meine Erinnerungen an längst vergangene
Zeiten. Um genau zu sein herrsche ich schon drei Tage über die Hölle und muss mich mit viel zu
viel ätzendem Papierkram herumschlagen. So wie mit lästigen Seelen, die es schaffen, durch
die Maulwurfsgänge aus dem Höllenfeuer zu entkommen.
Ich meine, die spannendste Frage, die es an den Tag zu legen gilt, ist, welcher Promi heute
wohl zu viel Karottensaft getrunken hat und in die Unterwelt einmarschiert, als wäre er
immer noch auf der Bühne des Lebens. Wenn ich Glück habe, ist es sogar ein
musikalisches Genie und ich kann mit diesem um ein kostenloses Konzert feilschen, um als
Gegenzug die Qualen der eh schon längst verlorenen Seele etwas zu mindern.

Und doch ist es hier zum Sterben langweilig. Die einzige Qual, die es wirklich in der
Unterwelt zu erleiden gibt, ist diese nutzlose Untätigkeit. Solange, bis die Seele das Glück
hat zu verblassen, um sich in das tiefe Nichts einzureihen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich hier diejenige bin, die Todesqualen leidet, aber von
ihnen nicht mal erlöst werden kann…


Ich schüttle den Kopf, als könnte ich die nagenden Gedanken herausmanövrieren, wenn
ich es nur stark genug versuchte. Natürlich brachte auch das wieder nichts und mit einem
resignierten Seufzen lasse ich meinen Blick schweifen.
Die Wolken verschwimmen am viel zu weiten Horizont zu blassroten Schlieren. Ein
allgegenwärtiges Dämmerlicht hatte sich vor Jahrtausenden über die Unterwelt gelegt und
sich wie eine nervige Mücke in die Wolken gekrallt, welche überall im hellen Nichts
schweben. Über mir, unter mir und neben mir in verschiedenen Formen, die eine Wolke nur
annehmen konnte. Ein Mal sah ich sogar ein unförmiges Einhorn mit Hasenohren und
Stoßzähnen.


Die einzige Beschäftigung, die ich hier unten genehmigt bekommen habe, ist das Lesen
meiner Bücher, die überall um meine Wolke herum schweben. Ihre Seiten säuseln und
locken mich mit ihren Geschichten von kühler Nachtluft und sanften Sonnenstrahlen. Sie
versprechen mir Abwechslung von der schwülen Luft der Unterwelt und Vogelgesang, statt
knisternden Flammen. Es kommt mir so, vor als hätte ich den Geschmack von frischen
Himbeeren auf meiner Zunge und spüre, wie die kleinen Beeren in meinem Mund
prickeln. Doch leider ist da nur geschmacklose Leere…


Ich rümpfe missbilligend die Nase und hätte mir am liebsten gleich eine Ohrfeige verpasst.
Der Gestank nach künstlicher Minze und Kalkstein krallt sich sofort an meinen Gaumen
und ich muss ein Würgen unterdrücken.
Diese widerliche Minze riecht, als wäre sie gerade aus einer frischen Plastikverpackung
gekommen und hätte den chemischen Geruch schier ausgetrunken. Diesen verbreitet sie
böse grinsend in der ganzen Unterwelt.


Die Duftstäbchen hatte mein Vater überall auf den Wolken verteilt und war ganz stolz
gewesen, damit den Gestank nach Tod und Verwesung zu überdecken.
Nur war dieser abgestandene Geruch nicht gerade viel besser. Leider hatte er die Stäbchen mit einem Unsichtbarkeitszauber belegt. “Um die Atmosphäre des Höllenfeuers nicht zu stören,” hatte er immer behauptet.

Als würde das Höllenfeuer noch irgendwie bedrohlich wirken. Ich schiele an meinen nackten
Füßen vorbei und erhasche einen Blick auf das pinke Feuer unter mir, welches wie ein
wogendes Meer unter den roten Wolken her strömt.
Ich kann vereinzelte Seelenklumpen ausmachen, die zwischen den Wellen des
Barbie-Pinks auf und ab hüpfen. Ihre tonlosen Proteste werden von ihrer eigenen
geleeartigen Konsistenz verschluckt.

Bild 1: Höllenfeuer


Ein übertrieben unauffälliges Räuspern vernehmen meine Ohren und ich kneife leidend die
Augen zusammen. Ich richte mich auf und schwinge schwungvoll meinen Körper, damit
sich die Wolke elegant einmal um ihre eigene Achse dreht und ich mich nun auf der
anderen Seite befinde.


Ein liebreizendes Lächeln, was einem Zähnefletschen gleicht, begrüßt mich hier. Ich
unterdrücke den Drang, mit den Augen zu rollen und werfe einen dieser schon vorhin
genannten teuflischen Dämonen einen gelangweilten Blick zu.
Vor mir flattern aufgeregt zwei kleine, goldbraune Flügel auf und ab. Die kleinen
Stummelflügel haben große Mühe, den etwas pummeligen Körper des Wesens in der Luft zu
halten. Ich glaube, die Sterblichen hatten sie „Putten“ getauft.
Für mich bleiben sie immer noch die „nutzlosen Fliegen mit goldenen Federn“.


Es scheint mir so, als würde der Junge vor mir auf eine Aufforderung warten, um das Wort zu
ergreifen. Vor lauter Ungeduld verliert er ein paar Federn, die hoffnungslos zum Feuer unter
uns trudeln. Doch der Engel scheint keinen trauernden Blick aus den klugen Augen an sie
zu verschwenden.
Ergeben seufze ich und erhebe als erstes die Stimme:


»Was ist diesmal passiert? Wurde das Rohr 543 wegen der Kakerlakenplage gesprengt?«

Hektisch schüttelt der Kleine den Kopf. Eigentlich sollten seine kindlichen Gesichtszüge nicht so von einer Härte gezeichnet sein, die zusammen mit dem säuerlichen Geruch nach würzigen Kornblumen ein sehr reifes Bild
darstellt. Aber das Ausschlaggebendste sind die Augen oder besser gesagt der weise
Blick aus der kastanienbraunen Iris, der das eigentliche Alter des Engels verrät.


»Rohr 376?«, rate ich weiter, doch auch diesmal ist die Antwort nur ein Kopfschütteln.


Weil ich plötzlich Angst habe, dass er vor unzureichender Informationenmitteilung platzen
könnte, nicke ich ihm auffordernd zu. Als hätte er auf dieses Startsignal gewartet, plustern sich augenblicklich die weichen Federn auf.


»Highway to Hell stottert!«, platzt es aus ihm heraus.

So schnell, dass ich Mühe habe zu verstehen, welche Buchstaben er aneinander gereiht hatte. Ich blinzle und als ich nach ein paar Herzschlägen die Bedeutung dieses für den Engel wohl sehr gravierenden Fehlers begreife, bemühe ich mich, ein entsetztes Gesicht zu machen. Dieser Versuch, Empathie zu zeigen, ist wohl miserabel gelaufen, denn der Putte wirft mir einen entrüsteten Blick zu. Mit einem ergebenen Seufzer hake ich nach:


»Du meinst das Lied, welches in Dauerschleife aus den schäbigen Lautsprechern im
Treppenhaus dudelt, funktioniert nicht mehr.«


Es war eine Feststellung gewesen, keine Frage. Und doch beeilt sich der Kleine, mir eine
empörte Antwort zu liefern:


»Ich meine das Lied, welches durch die überhaupt nicht schäbigen Lautsprechern die frisch
verstorbenen Seelen auf den Weg zur Hölle durch das Treppenhaus begleitet. Das Lied auf
ihrer letzten Reise.«


Ich nicke langsam, als würde ich die Gefahr hinter diesen Worten verstehen. Den Skandal,
dass die Technik auch mal den Geist aufgab und sich in das pinke Höllenfeuer begeben
musste. Alles musste einmal sterben. Sogar mein Vater, der Teufel selbst.


»Und?«
»Mhh?«
»Was ist der Plan, Herrin?«
»Der…Plan?«
»Was unternehmt Ihr dagegen?«


Seine Flügelschläge werden zunehmend ungeduldiger.


»Wir ersetzen das Lied einfach«, schlage ich als Lösung vor.

Mein Gegenüber jedoch hat da eine ganz andere Meinung dazu.


»Mit Verlaub, Herrin, aber das Lied wurde noch nie einfach ausgetauscht.«, erwidert er
etwas verlegen.

Meine rechte Augenbraue hebt sich lediglich.


»Und du meinst nicht, dass es vor AC/DC etwas gegeben haben könnte, was man gespielt
hätte?«


»Naja… also… äh… es muss ja einen Grund haben, warum es… nun ja… von “Highway to
Hell”
abgelöst wurde«, druckst er herum und streicht sich etwas nervös eine goldene Locke
aus der Stirn.

Ich nicke langsam, als wäre der Putte wirklich in dem Alter eines kleinen Jungens, dem man alles zwei Mal erklären muss.


»Vielleicht war der Grund ein nicht funktionierendes Lied?«, schiebe ich ihn in die Richtung, die ich für richtig halte.

Er nickt ergeben und sieht zu mir auf.
Ich lege den Kopf leicht schief, doch lange Überlegungen brauche ich nicht.


»Wir sollten eher etwas modernisieren…«, überlege ich laut und spüre förmlich den entsetzten Blick des Kleinen auf mir.


Doch bevor er irgendetwas einwenden kann, werfe ich ein:
»All the good girls go to hell von Billie Eilish


Mit diesen letzten Worten schnappe ich mir ein Buch aus der Luft und lasse mich ohne ein Wort des Abschieds auf den Rücken fallen, schlage die Seite auf, auf der ich stehen geblieben war und versinke in den Zeilen.

Ein kleines, triumphierendes Lächeln schleicht sich auf meine Gesichtszüge.
Der Kleine muss widerstrebend gehorchen und das neu ernannte Lied der Hölle
einrichten, ob er will oder nicht.
Ich habe hier nun das Sagen.

Darf ich vorstellen:

der neue Teufel!

Bild 2: der „Wolkenthron“

Autorin: jewel (Schülerin)

Bildlizenz:

Bild 1:

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Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Beitragsbild und Bild 2:

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am Mai 28, 2021 von in aus dem Schulalltag..., Kl. 8 2020/21, Projekte, Sonstiges und getaggt mit , , , , , , .

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